Berlin vergibt Grundstücke an Baugruppen – Nicht deren Höchstgebot entscheidet, sondern das bessere Konzept

Von Karin Krentz

Das Land Berlin bzw. der Liegenschaftsfonds Berlin (LFB) verkaufen ab sofort Wohnbauland in der Innenstadt nicht nach Höchstgebot in einem Bieterverfahren an finanzstarke Investoren, sondern an Baugemeinschaften / Baugruppen. Diese müssen sich im Gegenzug verpflichten, das Grundstück zügig zu bebauen und ausschließlich selbst vorwiegend zu Wohnzwecken zu nutzen. Die Vergabe dieser Grundstücke soll in einem dem EU-Vergaberecht entsprechenden strukturierten Verfahren zum gutachterlich ermittelten Verkehrswert erfolgen. Das letzte Wort zur Vergabe der Grundstücke hat der Steuerungsausschuss des LFB, dem Vertreter der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Finanzen angehören.

Auf Vorlage der Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, hatte der Senat bereits im Dezember 2007 ein Konzept zur Grundstücksvergabe für Baugemeinschaften durch den Liegenschaftsfonds zur Stärkung des innerstädtischen Wohnens und neuer Wohnformen beschlossen. Die Begründung: Berlin hat eine lebendige Innenstadt mit einer intensiven Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeitangeboten. Damit diese Mischung erhalten bleibt, will der Senat die Bildung von Wohneigentum dort unterstützen. Es gebe eine Vielzahl von Interessenten, die Wohnprojekte in innerstädtischer Lage verwirklichen wollen. Um diesen Grundstücksinteressenten die Möglichkeit zu eröffnen, in Form von Baugemeinschaften oder Baugruppen Wohnhäuser zu errichten, wurden nun die Voraussetzungen zum Verkauf landeseigener Grundstücke angepasst.

„Berlin ist deshalb so attraktiv, weil die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen gemeinsam in der Innenstadt leben: Single-Haushalte, Familien mit Kindern, Alte und Junge unter einem Dach. Wir wissen jetzt schon, dass in den nächsten Jahren die Zahl an Privathaushalten zunehmen wird“,

sagt Junge-Reyer.

Eine Vergabe von landeseigenen Grundstücken rein unter fiskalischen Gesichtspunkten erschwere erfahrungsgemäß die Eigentumsbildung in den Innenstadtquartieren, so die Senatorin.

„Deshalb ist es wichtig, dass bei der Vergabe von Grundstücken zukünftig verstärkt stadtentwicklungs-, wohnungspolitische und z. B. kulturwirtschaftliche Belange berücksichtigt werden. Es sollen nach diesem Senatsbeschluss tatsächlich die inhaltlichen Qualitäten eines Projektes den Ausschlag darüber geben, wer ein Grundstück erwirbt.“

Baugemeinschafts- und Baugruppenmodelle sind nach Ansicht von Senatsverwaltung und Liegenschaftsfonds ein belebender, stabilisierender, qualitätssteigernder und damit wichtiger Faktor für eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik. Sie sind erfahrungsgemäß „soziale Anker“, so Junge-Reyer. Sie verwirklichen ihren Lebensstil nicht nur in den eigenen vier Wänden, ihre Mitglieder engagieren sich auch überdurchschnittlich im Kiez und bringen Kaufkraft in die Quartiere. Das Stadtbild gewinnt durch zukunftsweisende Ideen zum verdichteten und umweltbewussten Wohnen. Damit leisten die Projekte der Baugemeinschaften oftmals wichtige Beiträge für Architektur und Baukultur. Häufig werden auch generationenübergreifende Wohnformen und bürgerschaftliches Engagement in solchen gemeinschaftlichen Wohnprojekten verwirklicht. Ausdrücklich, so Junge-Reyer, soll das Wohnen in der Innenstadt von mittleren Einkommensschichten dadurch gefördert werden, die man in der Stadt halten oder zurückholen wolle.

Der Liegenschaftsfonds hat ein Portfolio für Baugruppen zusammengestellt und gemeinsam mit der Senatsverwaltung ein Verfahren für Vergabe und Auswahl an interessierte Baugruppen entwickelt (Exposés unter www.liegenschaftsfonds.de). Diese Grundstücke werden in einem transparenten Ausschreibungsverfahren zum Festpreis, jedoch marktorientiert, wie Geschäftsführer Holger Lippmann betonte, ab sofort angeboten. Die Vergabe erfolge zum ersten Mal nach Festpreis, aber der Fonds müsse Grundstücke auch entsprechend den städtebaulichen Zielen der Stadt verkaufen, so Lippmann. Zunächst wurden fünf Grundstücke unterschiedlicher Größe ausgewählt. Die Ausschreibung erfolgt in zwei Stufen: Die erste Stufe wird ein Interessenbekundungsverfahren zur Beurteilung der wirtschaftlichen Potenz der Interessenten sein. In der zweiten Stufe erfolgt dann in Form einer beschränkten Ausschreibung die Aufforderung der nach dem Interessenbekundungsverfahren ausgewählten Bieter, ein detailliertes Konzepte vorzulegen. Hier stehen die Nutzungs- und Bebauungskonzepte und die Umsetzung der städtebaulichen Ziele sowie die Finanzierung im Mittelpunkt. Großer Wert in den Konzepten wird auf Nachbarschaft und gemeinschaftliches Wohnen, Architektur und Stadtbild sowie Nachhaltigkeit und Ökologie gelegt. Rat holen können sich die Baugruppen bei der Netzwerkagentur Generationen Wohnen, die im Auftrag des Senats handelt und in einem Netzwerk mit Architektenkammer, Stadtplanern, Stiftungen, Finanzberatern u.a. arbeitet.

Auch nach Vergabe wollen Senatsverwaltung und Liegenschaftsfonds jeden Schritt der Baugruppen überprüfen, um eventuellen Grundstücksspekulationen vorzubeugen. Noch, so betonen beide, ist das eine Testphase, Erfahrungen liegen dazu in Berlin nicht vor. Nach dem Baulandverkauf auf dem Friedrichswerder vor vier Jahren ist das eine weitere, spannende Phase, um nachhaltiges Wohnen in der Innenstadt wieder zu beleben. Der Friedrichswerder zeigt heute: Es funktioniert, allen Unkenrufen von damals zum Trotz. Berlin orientiert sich dabei auch an den überaus erfolgreichen Beispielen in Freiburg und Tübingen, wo es gelang, auch größere Quartiere mit und durch Baugruppen oder Baugemeinschaften mittel- und langfristig erfolgreich zu entwickeln.

Quelle: DIB, Nr. 170, 11.07.2008