Von Werner Rohmert
Die erste Dekade des neuen Jahrtausends ist über eine Reihe systematischer Denkfehler wie z. B. generell der „Virtualisierung und der Immobilienmärkte“ und der Innovationskraft verbesserter Ausbildung und der Finanzsysteme geprägt. Dabei geht es noch nicht einmal um einzelne Fehleinschätzungen von Immobilien oder Teilmärkten. Auch über Konjunktur- und Mietentwicklung sind unterschiedliche Meinungen zulässig, wobei natürlich immer derjenige, der am Ende Recht hat, dies laut verkündet. Und es geht noch nicht einmal um die Fehler internationaler Investoren, die aus Heimatländern mit starken Zyklen kamen und sich natürlich einen stärkeren zyklischen Aufholprozess ausrechneten als im „flachen“ Deutschland realistisch ist.
Zyklische Mietpreisschwankungen sind nämlich mit Bedarf verbunden und wenn im ausgebauten Deutschland nun einmal genug da ist und leer steht, um bis auf wenige Ausnahmen im Topsegment jederzeit jeden Immobilienwunsch zu erfüllen, gibt es nun einmal keinen zyklischen Knappheitsprozess. Und die pauschalen internationalen Vergleiche von Eigentumsquoten bei Wohnraum und daraus abgeleitete Perspektiven bedürfen sicherlich einer weitergehenden Analyse, die Finanzierungs- und Einkommensrahmenbedingungen ebenso berücksichtigt wie historische Entwicklungen, Erbschaftsregelungen, Industrialisierung oder Familientraditionen.
Aber natürlich ist zu diskutieren, ob die Beschränkung der Maklerberichterstattung, z. B. im Büromarkt auf ein winziges Marktsegment der Topimmobilien, das in normalen Zeiten gerade den Skontosatz des Marktes abbildet, das aber in der Presseberichterstattung einen breiten und oft repräsentativen Raum einnimmt, Beobachter nicht auf eine falsche, meist zu optimistische Fährte setzt. Wir möchten aber hier, vielleicht auch mit ein wenig (Selbst-) Ironie – schließlich schwimmen wir trotz unserer oft abweichenden und leider auch oft richtigen Meinungen auch im allgemeinen Fahrwasser – auf systematische Denkfehler der Immobilienwirtschaft verweisen. Leider erheben wir auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und werden den Artikel fortschreiben.
Fehler (n+1): Vorsatz oder Fahrlässigkeit – Falsche Nutzung des Leverage-Instrumentariums: Zur Nachhaltigkeit niedriger Zinsen gab es bei bedarf viele Theorien. Es hat sich sogar bestätigt. Vergleicht man die Zinsen, die international zum Crash geführt haben mit der Vergangenheit, so stellt man fest, dass die Zinsen auch heute noch trotz Inflation weit unter dem historischen Durchschnitt liegen. Was kann also dazu führen, bei Investitions- und Finanzierungsentscheidungen noch nicht einmal so geringen Zinsanpassungen zu kalkulieren.
Ganz einfach: Dann wären viele Geschäfte nicht möglich gewesen, Immo AG’s hätten weit weniger Wachstumsstories und Einkaufs“erfolge“ präsentieren können und die Investitionsrechnungen hätten offengelegt, dass auch im Planungshorizont von Private Equity Investoren schon Entwicklungen wahrscheinlich sein würden, die die Planungen zur Makulatur machen würden. Vor dem Hintergrund der non-recourse Finanzierungsmöglichkeiten verstehen wir sogar jeden Planungsoptimismus, schließlich trägt dann der Investor nur ein Imagerisiko. Jeder Deal ist machbar, der nach Verwaltung und Zinsen einen noch so kleinen Überschuss übrig lässt. Bei Milliardenbeträgen läppert sich das. Aber davor haben wir Sie schon vor Jahren in ausführlicher Darstellung gewarnt. Wir sind allerdings einmal gespannt, was sonst noch an Regelungen der Kreditverträge bald in die Öffentlichkeit kommt.
Problematisch wird es allerdings, wenn z. B. bei Immobilienaktiengesellschaften Anleger getäuscht werden und langfristige Bestandsaufbau-Perspektiven vorgegaukelt werden, aber dann die Einkäufe nur kurzfristig finanziert werden. Den Fristenkongruenzgrundsatz lernt ein Betriebswirt im ersten Semester. Durch kurzfristige Bindung von nur 3 Jahren führt die historische Sondersituation extrem günstiger Zinsen lediglich zu einem kleinen Kostenvorteil in Höhe von 2 oder 3 Jahresdifferenzen zum realen Durchschnittszins und zu einer völlig falschen Kalkulationsgrundlage. Dieses Geschäft ist grundsätzlich nur sinnvoll in einer transaktionsorientierten Umgebung und führt z. B. bei Immobilienaktiengesellschaften, die als Story und Ziel den Aufbau von Portfolien nannten, zu einer Irreführung der Aktionäre.
Die historischen Niedrigzinsen hätten nur in Verbindung mit langfristiger Finanzierung und weitgehender Tilgung in der Planungsperiode geführt. So wurde nur ein Geldschleier über die entscheidenden Immobilienperspektiven gelegt. Jeder Analyst geschlossener Fonds kalkuliert die Anschlussfinanzierung mit ein. Nur die „Profis“ konnten anscheinend darauf verzichten. Bei kurzfristiger Finanzierung kommt es noch viel mehr auf die Immobilienperspektiven an, aber sieht der Externe nicht. Ehrliche Kalkulationen hätten allerdings manches reale Geschäft mit Portfolios in Präriegegenden zum Kalkulationswitz gemacht. Fazit: Kurzfristige Refinanzierungen unter Ausnutzung einer historischen Sondersituation und daraus abgeleitete Renditewerte sind u. E. eine vorsätzliche Irreführung der Anleger und Aktionäre.
Fehler (n+2): Ausbildung und Professionalisierung der Immobilienwirtschaft führt zu sicherem Geschäft: Früher zeichneten sich die Gesprächspartner der Immobilienwirtschaft oft weniger durch herausragende Ausbildung- und Examensleistungen aus, sondern mehr durch (praktisches) Know how aus selbst gesammelten Erfahrungen und waren deshalb besonders interessant. Die Professionalisierungs- und Qualifizierungswelle der letzten Dekade mit den zwischenzeitlich unbestrittenen Erfolgen des Financial Engineering unter Ausnutzung einer außergewöhnlichen Zinssituation hat dazu geführt, dass viele der heutigen Matadore ihre Immobilienerfahrungen von Universitätsprofessoren vermittelt bekamen und sich das Verständnis der Immobilienmärkte als Element der Finanzmärkte durchsetzte. Das haben wir schon seit 15 Jahren moniert.
Das geht schief – vor allem, wenn dieselben jungen Leute ohne (leidvolle) Erfahrung mit derselben Denkweise, derselben Sprache und derselben Ausbildung gleichzeitig an allen Wertschöpfungsstufen von der Projektentwicklung, über Investor, Bank, Ratingagentur, Verbriefungsinstitution und Wertpapierinvestor unbeaufsichtigt Entscheidungen anhand standardisierter Vorgaben fällen.
Am Ende kommt es auf die Immobilie an. Auch ein gutes Portfolio ist nichts anderes als die Summe einzelner vermieteter Immobilien. Natürlich haben Investmentbanken finanztechnische Möglichkeiten, die manche Immobilien-Ungenauigkeiten überdecken, aber bei Lehman z. B. geht es jetzt ans Tafelsilber, also um die Existenz. Aktuell wird die Erwartung auch einer großen Kankenpleite in USA aus dem renommierten Kreis wieder größer.
Fehler (n+3): Verbriefung macht Risiken handelbar – geniale Idee oder „Lizenz zum Töten“? Ein nächster elementarer Fehler ist das Verbriefungssystem, dass im positiven Sinne Risiken handelbar machte. Dabei hat die Praxis recht schnell deutlich gemacht, dass der Transfer von Risiken von den Gruppen, die über Jahrhunderte gelernt hatte, Risiken einzuschätzen und damit umzugehen, auf andere Investorengruppen, die Risiken lediglich als Funktion des Ratings und als tabellarische Indikatoren für Auf- oder Abschläge bei den Renditeerwartungen zu tätigender Investitionen kannten, nachhaltig wenig Erfolg versprechend ist.
Es kann nicht „gut gehen“, wenn der Entwickler keine Risiken trägt, da er einen Investor hat, der keine Risiken trägt, weil er eine Bank hat, die keine Risiken trägt, weil sie eine Ratingagentur hat, die keine Risiken trägt und die dafür sorgt, dass die Risiken verbrieft werden und an Wertpapierinvestoren verkauft werden, die glauben, keine Risiken zu haben, da ja vier oder mehr vorgelagerte, professionelle Wertschöpfungsstufen die Risikolosigkeit des Investments bestätigt haben. Der gesunde Menschenverstand wurde abgebügelt durch „Tropfen im Ozean“-Theorien, die sich als Nervengifttropfen in der zentralen Wasserversorgung des Systems herausgestellt haben.
Fehler (n+4): Ist Einkauf ein Erfolg für den Investor oder nur für einen Alpha-Täuscher? Der nächste systematische Fehler ist, Immobilieneinkäufe sofort als Erfolg zu werten und möglichst auch noch schnell zu honorieren. Das führt quasi automatisch zu Fehlallokationen. Schließlich ist die hochwertig oder zumindest langfristig vermietete Immobilien das überzeugendste Alpha-Täuscher Instrument.
Alpha-Täuscher sind Investoren, die mit ihren Investments Risiken eingehen, deren Eintrittwahrscheinlichkeit entweder relativ gering ist oder deren Eintritt relativ spät terminierbar ist. Derartige Risiken lassen sich außerdem hervorragend zu Kumul-Chancen, aber auch Kumulrisiken verbinden. Die Versicherungswirtschaft kennt dieses Thema seit Ewigkeiten. Die Immobilienwirtschaft lernt langsam.
Speziell die gut vermietete Gewerbeimmobilie ist dadurch gekennzeichnet, dass einer Phase hoher Mietesicherheit mit der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit eines zwischenzeitlichen Mieterausfalls ein hohes Anschlussvermietungsrisiko gegenübersteht. Bis dahin ist der verantwortliche Einkäufer längst in seiner dritten Position und kauft dort je nach zyklischer Phase weiter tapfer ein oder er beschäftigt sich als Sanierer mit den Einkaufsfehlern seiner Vorgänge, für die er jedoch nicht verantwortlich ist. Die wiederum befassen sich mit seinen Fehlern, für die sie gleichfalls natürlich keine Verantwortung tragen. Profis machen außerdem heute keine Fehler mehr, da sie durch „Gut“achten gleichdenkender etc. (siehe oben) Fachleute gestützt werden. Und da gleichzeitig der Einkauf zum alleinigen Oberziel ernannt wurde, war der Einstieg in eine „immobilienwirtschaftlich unabhängige Preisfindung“ ebenso unvermeidlich, wie es das Ende des Geschäfts sein wird.
Fehler (n+5, n+6 bis n+x): Portfolios – eine neue Immobilienform? Durch weitere langfristige systematische Fehler ist das Portfoliogeschäft mit Wohnungen geprägt. Auch diese Fehler treten natürlich erst am Ende einer euphorischen Handelsperiode auf.
Das Portfoliogeschäft ist kein originäres Immobiliengeschäft, sondern basiert auf den drei Effekten, das „Reiten von Zyklen“ (riding the cycle) mit den bekannten Kunstreitern aus der internationalen Investmentbankerszene und dem Reiternachwuchs aus der Private-Equity Szene, dem Ausnutzen von Zeitfenstern besonderer Kapitalmarktsituationen, wie zuletzt der historisch niedrigen Zinsen und dem Investment in „generelle Unterbewertung“.
Standort, Immobilienart oder vorübergehende politische oder ökonomische Rahmenbedingungen können z. B. zu systematischen Bewertungsabschlägen führen, die den Erwerb von Portfolios sicher machen.
Riding the cycle funktioniert in Deutschland allerdings nur in einer selbstgemachten (self fullfilling prophecy) Euphoriephase. Die generellen zyklischen Preisschwankungen sind in Deutschland viel geringer als in den Heimatländern der meist angelsächsisch geprägten Investoren.
Bei kapitalmarktinduzierten Investitionen unter Ausnutzungen von Zins-Sondersituationen ist nur eine Sache absolut sicher: Irgendwann schließt sich das Zeitfenster und der Portfolioeigentümer bzw. seine Bank haben in der nächsten Nachfinanzierungsphase den „schwarzen Peter“.
Die Preisgestaltung von Portfolios oberhalb der Einzelpreise ist in Deutschland zwar neu gewesen, jedoch an sich nicht als systematischer Denkfehler zu werten, da eben die Zusammenstellung der Portfolios eine Dienstleistung ist, die bezahlt werden muss. Allerdings verhindert die Preisgestaltung tendenziell eine Privatisierung oder Auflösung der Bestände. Das wiederum macht logisch die Portfoliopreise sehr volatil in Abhängigkeit von der Kapitalmarktsituation.
Der grundsätzliche Denk- bzw. Erwartungsfehler beim Portfolioinvestment in große Stückzahlen zu möglichst niedrigen Quadratmeterpreisen in Lagen, die heimatkundlich interessanter sind als immobilienwirtschaftlich, liegt in der Veränderung der Rahmenbedingungen der letzten 15 Jahre. Im Prinzip sollte es recht einfach sein, 5 Euro Miete mittelfristig um 10% anzuheben. Vor 15 Jahren war das auch noch eine korrekte und begründbare Vermutung. Das Gegenteil trat jedoch ein. Das war 2005 schon bekannt.
Einfache Wohnungen dieser Investmentzielrichtung, die 1993 in der Neuvermietung für gute 6 Euro über die Theke gingen, sind heute für 5 Euro schwer vermietbar. Bei konstanten Einkommen und niedrigen Inflationsraten und dem gleichzeitigen unvermeidlichen Wachsen anderer Budgetteile – wie z. B. die gesamte Telekommunikation – am Gesamtbudget der Mieter auch der unteren Schichten begrenzt die Mietzahlungsfähigkeit. In diese Begrenzung fällt die gleichzeitige Explosion der Nebenkosten bei insgesamt noch ausgeglichenem Wohnungsangebot.
Darüber hinaus sind fast alle Kostentreiber des Wohnungsmanagements wie Reparaturen, Instandhaltung, energetische Maßnahmen und vieles mehr, flächenabhängig und nicht mietabhängig. In der Konsequenz gingen die drastischen Erhöhungen der Nebenkosten und der Managementkosten zu Lasten der Vermieter. Der Nebenkostentrend dürfte auf absehbare Zeit nicht umkehrbar sein. Hinzu kommen bei Mieter-Migrationshintergrund aus warmen oder ehemals sozialistischen Ländern Heizgewohnheiten, die nicht mit heutigen Energiekosten, Einkommensverhältnissen oder Energiepassregelungen korrespondieren. Die aktuell durchaus anständige Steigerung der Einkommen wird aktuell allein schon durch die Energiepreisentwicklung abgefangen.
Begrenzte Mietzahlungsfähigkeit und weitere Verhaltensanpassungen bei der Mietsuche werden dafür sorgen, dass das Damoklesschwert der gesetzlich vorgeschrieben energetischen Maßnahmen wiederum vor allem den Vermieter treffen wird, der noch nicht einmal die gesetzlich zulässigen Kosten im Markt weiterreichen kann. Portfolioinvestments in demographischer Diaspora werden besonders leiden. Die non-recourse Finanzierer könnten dort in einiger Zeit auf faktisch unverkäuflichen Portfolios sitzen bleiben. Lediglich die befristete Liquiditätskonstanz wird das abfedern.
Weiterer Portfolio-Denkfehler ist die Betonung des Asset-Managements. Natürlich lässt sich bei verkrusteten Wohnungsstrukturen mit neuem Management durchaus etwas bewegen. Am Ende zeigen aber gleich qualifizierter Wettbewerb und der Markt bei Wohnen und Gewerbe die Grenzen auf.
Am schlimmsten war jedoch, dass vor ein bis zwei Jahren noch die Manager von großen Finanzierungsinstituten und Immobiliengesellschaften auf der Basis von noch nicht einmal drei Jahren Erfahrung und einer einzigartigen Kapitalmarktsituation „Weltänderungstheorien“ verbreiteten. Kopfschüttelnd mussten wir das bei Veranstaltungen hinnehmen oder korrigieren.
Der Fairness halber muss man zugeben, dass sich ja schließlich damit Geld verdienen ließ. „OPM“-Denken (other people money), kurzfristiges Quartalsdenken und Investments, die entweder nur die Verbriefungsdauer von 9 Monaten oder alternativ die Dauer zum Finden eines neuen Jobs durchstehen mussten, wurden bedenkenlos in die Bücher genommen. Hier dürften noch Risiken schlummern.
Portfolio-Fazit: Auch wenn im Portfoliobereich derzeit Ruhe eingekehrt ist, werden in Zukunft viele heutige engagierte Gewerbeinvestoren wieder feststellen, dass die Rechnung nicht aufgehen wird. Speziell mit der Top-Lagenstrategie lassen sich zwar Milliarden vernichten, jedoch schützt die Strategie vor persönlichen Konsequenzen, da jedes Investment durch eine Vielzahl von Gutachten untermauert ist, die Objektqualität unzweifelhaft ist und der Kauf des begehrten Objektes im breiten Wettbewerb stattfand.
Quelle: DIB, Nr. 173, 22.08.2008