Brüssel: Die Shopping-Center-Szene hat noch Nachholbedarf

Von Claudia Schmidt, GfK GeoMarketing GmbH

Die belgische Haupt- und Residenzstadt Brüssel ist das dominierende wirtschaftliche, kulturelle und politische Zentrum des Königreiches und ist Sitz der Europäischen Union sowie der NATO. Ausgestattet mit diesen Funktionen und den rd. 2,4 Mio. Einwohnern in der dicht besiedelten Metropolregion ist Brüssel als international bedeutende Metropole mit hoher wirtschaftlicher Potenz zu bewerten. Das zeigt auch die Einzelhandelskaufkraft in Belgien, die mit rd. 6.300 Euro pro Kopf (2007) weit über dem Durchschnitt der EU27 bzw. dem von Deutschland liegt.

In der Metropolregion Brüssel selbst stellt sich die wirtschaftliche Situation sogar noch freundlicher dar. Bei differenziertem Blick fällt zwar auf, dass der Kaufkraftindex für Brüssel selbst leicht unter Landesdurchschnitt liegt, doch liegt er in der umgebenden Region deutlich darüber. Somit bestehen in Belgien ganz allgemein und in Brüssel im Besonderen gute Voraussetzungen für die Entwicklung von Shopping Centern. Zusätzlich ist zu erwähnen, dass Belgien im europäischen Vergleich zwar eine sehr hohe Verkaufsflächenausstattung (pro Kopf) aufweist, die Shopping-Center-Fläche (pro Kopf) jedoch eine der niedrigsten in Europa ist. Aktuell rangieren nur wenige südosteuropäische Länder, die sich aber meist durch eine hohe Entwicklungsdynamik in diesem Bereich auszeichnen, hinter dem Königreich.

Dieser „Nachholbedarf“ in Belgien ist auch Folge der seit 1975 sehr restriktiven behördlichen Genehmigungspraxis, die sich erst in den vergangenen Jahren sukzessive lockerte. Deshalb wird der Einzelhandel in Brüssel stark von traditionellen Strukturen geprägt – u.a. von klassischen Einkaufsstraßen mit hochwertigen Labels. Gleichwohl wurden in den vergangenen Jahren auch außerhalb der innerstädtischen Top-Lagen Handelsstandorte entwickelt, meist mit Angeboten im mittleren Genre.

Auf Grund der traditionell geringen Bedeutung von Shopping Centern in Brüssel besteht seit längerem eine umfangreiche Projekt-„Pipeline“ für weitere Anlagen bzw. Erweiterungen oder Restrukturierungen, die jedoch auf Grund der Genehmigungspraxis nur schrittweise realisiert werden. Trotzdem ist in den nächsten 2 bis 3 Jahren mit einer Zunahme der Shopping-Center-Fläche um knapp 20% zu rechnen.

Strukturell gibt es in Brüssel lediglich elf Centeranlagen mit mehr als 10.000 qm GLA (Bruttomietfläche), die zusammen eine Fläche von knapp 260.000 qm GLA aufweisen. Darunter befinden sich mit dem Cora Anderlecht sowie den beiden Redevco Winkelzentren (St.-Agatha-Berchem/Auderghem) auch drei vorwiegend fachmarktorientierte Einkaufsparks. Zudem ist das im Westen der Stadt gelegene Basilix Shopping Center mit rd. 19.000 qm GLA zu nennen, das auch keine „klassische“ Centeranlage darstellt.

Davon abgesehen konzentriert sich der Einzelhandel in Brüssel traditionell auf Galerien mit hochwertigen Angebotsformen, die Ende der 1970er-Jahre durch eine zweite Generation von (Stadtteil-)Centern ergänzt wurden. Als klassische Einkaufsgalerien agieren u.a. die hochwertig besetzten, kleinteilig strukturierten Arcaden Galeries Royales Saint-Hubert mit rd. 14.000 qm GLA im historischen Stadtzentrum sowie die im Bereich des Place Louise angesiedelten, im Innenbereich miteinander verbundenen Galerien Espace Louise, Galerie Louise und Galerie de la Porte Louise mit rd. 14.000 qm. Beispiele für die genannte „zweite Generation“ der Shopping Center sind u.a. die Center City 2, Woluwe und Westland, die mit einer großen „kritischen Masse“ von zusammen rd. 130.000 qm GLA überwiegend erfolgreich am Markt agieren. Dabei strahlen das „City 2“ in der Innenstadt (über 50.000 qm GLA; u.a. mit Inno-Warenhaus) und das „Woluwe Shopping Center“ im östlichen Stadtgebiet (über 40.000 qm GLA; ebenfalls mit Inno-Warenhaus) auf Grund ihrer Attraktivität und Leistungsstärke weit in das Umland aus. Auch gibt es für das „Woluwe“ Überlegungen für eine dritte Erweiterung um etwa 10.000 qm. Dagegen fällt das „Westland“ in Anderlecht mit rd. 37.000 qm in punkto Besatz, Marktauftritt und Ausstrahlungskraft ein wenig ab und besitzt eher den Charakter eines Stadtteilzentrums.

Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Einzelhandelsszene sind vor allem die in der Realisierungsphase befindlichen Restrukturierungen der beiden Arcaden Galerie de la Toison d’Or (rd. 13.000 qm GLA) an der hochkarätig besetzten Avenue de la Toison d’Or und Centre Monnaie (14.000 qm) am südlichen Rand des Zentrums zu erwähnen. Die Restrukturierungen sollen bis Ende 2009 abgeschlossen sein.

Mit Blick auf die „klassischen“ Shoppingcenter rückt neben der bereits erwähnten Erweiterung des „Woluwe“ insbesondere die im Bau befindliche Entwicklung des Centre Anspach in der Innenstadt von Brüssel in den Fokus. Neben einer rd. 10.000 qm GLA umfassenden Mall sind hier u.a. auch ein Casino und ein Hotel projektiert.

Last, but not least verstärken zwei eher fachmarktorientierte Projekte in Anderlecht die Dezentralisierungstendenz. Zum einen das Birmingham-Center (rd. 18.000 qm GLA), dass Mitte 2008 eröffnet werden soll, und zum anderen der nur wenig weiter südlich projektierte Retail Park mit etwa 8.000 qm GLA, dessen Realisierungshorizont allerdings noch nicht konkret ist.

Fazit: Trotz der schrittweisen Liberalisierung bei der Genehmigungs-Praxis für Shopping Center und Einkaufsparks in den vergangenen Jahren zeigt die Region Brüssel noch eine „Unterbesetzung“ mit Shopping-Center-Fläche. Sie bietet von daher grundsätzlich sehr gute Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Shopping Center und stellt somit einen interessanten Investitionsstandort dar.

Unbeachtet der im oberen Genre agierenden traditionellen Arcaden der ersten Generation wird sich durch die Realisierung neuer Projekte bzw. Restrukturierungsmaßnahmen die Shopping-Center-Szene in der Region weiter ausdifferenzieren. Perspektivisch dürfte Brüssel insofern weitere (internationale) Filialisten anziehen und sich das hier ansässige Besatzspektrum weiter entwickeln; insbesondere auch, weil sich die Region Brüssel auf Grund der Einwohnerzahl und der ökonomischen Rahmenbedingungen für den qualifizierten Auf-/Ausbau von Filialnetzen eignet.

Quelle: Handelsimmobilien-Report, Nr. 21, 09.05.2008