Einzelhandel 2009 – Zwischen Krise, Ungewissheit und großen Herausforderungen

Von Ruth Vierbuchen

Wenn es um Prognosen für das Schicksalsjahr 2009 geht, dann werden Unternehmen und Verbände einsilbig. So beschränkte sich HDE-Präsident Josef Sanktjohanser in seinen Ausführungen über den „deutschen Handel zwischen Wettbewerb und Politik“ beim Deutschen Handelskongress in Berlin auf die Feststellung, dass sich die Hoffnungen der Branche für 2008 nicht erfüllt hätten und der Verband nunmehr nur noch ein nominales Umsatzwachstum von 1,5% voraussage, was real einem Umsatzrückgang von 1% entspricht.

Und das gilt auch nur, wenn das Weihnachtsgeschäft nicht doch noch böse Überraschungen bringt. Die Hoffnung auf nominal 2% Umsatzwachstum und ein kleines reales Wachstum von 0,5% sind damit begraben. Und 2009? Wird es deutlich schwieriger!

Wie schwierig, versuchte Metro-Chef Eckhard Cordes unter dem Titel „Erfolgreich international handeln – Perspektiven und Herausforderungen“ in einer Vorausschau für 2009 zu erläutern:

„Es wird nun mit enormer Wucht erkennbar, wie fragil die Finanzwirtschaft ist, aber auch wie stark verflochten sie weltweit ist“,

so der Vorstandschef von Europas zweitgrößtem Handelskonzern über den Status quo. Nachdem der IWF den weltweiten Verlust im Rahmen der Finanz- und Bankenkrise mit 1,4 Billionen $ beziffert – davon werden in diesem Jahr bis zu 760 Mrd. $ abgeschrieben – sind aus Cordes Sicht Folgen für die Realwirtschaft unausweichlich.

„Es wird uns im Handel auch direkt betreffen, wenn 2009 etwa 18 000 Mrd. $ weniger Kreditvolumen zur Verfügung stehen“.

Das Wirtschaftswachstum für den EU-Raum in diesem Jahr wurde bereits von 2% auf 1,4% heruntergesetzt und 2009 wird damit gerechnet, dass das BIP schrumpft. Recht drastisch wird die Lage der Weltwirtschaft aus Cordes Sicht schon daran ablesbar, dass die Mietraten für Schiffs-Container aus China inzwischen um 60% gefallen sind. In Deutschland ist das BIP nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes im 3. Quartal um 0,5% gesunken, nach -0,4% im 2. Quartal. Nach der allgemeinen Definition spricht man von Rezession, wenn die Wirtschaft in zwei aufeinander folgenden Quartalen schrumpft.

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Ungewissheit will der Metro-Chef denn auch erst Anfang Januar 2009 Auskunft über den Verlauf des Weihnachtsgeschäfts geben, nämlich dann, wenn fest steht, wie es gelaufen ist. Dass die Metro Group auch von der Krise betroffen sein wird, ist klar, doch sieht Cordes für sein Unternehmen ungeachtet der Unwägbarkeiten durchaus Potenziale. Es wird zu einer Verschiebung der ökonomischen Schwerpunkte von West nach Ost kommen.

Während im Einzelhandel der Industrieländer Stagnation angesagt ist – schon wegen des demografischen Wandels mit einer schrumpfenden Bevölkerung – wartet etwa Russland aktuell mit 27% Wachstum auf, in der Ukraine sind es 25%. Die Aufholtendenz in den Märkten des Ostens und in den Schwellenländern werde trotz Krise für attraktive Märkte sorgen, ist der Metro-Chef überzeugt. Das ökonomische Gravitationsfeld unserer Welt werde sich jedoch nachhaltig verschieben.

„Die Musik wird in Zukunft außerhalb Europas spielen“.

Und von dem sich beschleunigenden Aufholprozess in den Emerging Markets will die Metro, die bereits heute in 32 Ländern vertreten ist und die demnächst Ägypten und Kasachstan in Angriff nimmt, profitieren.

Die bestehenden Chancen in den noch nicht gesättigten Märkten Osteuropas sieht auch der Familienunternehmer Ludwig Görtz, geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Schuh-Kette Ludwig Görtz GmbH für sich. Mit über 200 Filialen und etwa 3 000 Mitarbeitern ist das Unternehmen in Deutschland, Österreich und Polen präsent. Unter der Headline „Erfolgreiche Unternehmensführung in turbulenten Zeiten – Herausforderungen für Familienunternehmen“ diskutierte Görtz mit anderen Familienunternehmern unter Moderation von Jürgen Elfers, zuständig für European Research“ bei der Commerzbank, darüber, welche Vorteile der inhabergeführte Mittelstand, der die deutsche Wirtschaft stärker prägt als Börsenunternehmen, gerade bei der Krisenbewältigung mitbringt.

Es sind die Flexibilität, die schnelle Handlungsfähigkeit, die solide Finanzierung und die Ausrichtung auf langfristige Unternehmensziele – statt auf das schnelle Wachstum und die Schnelligkeit der börsennotierten Unternehmen – die hier den positiven Unterschied machen. Werte, die nach dem Kollaps des Finanzmarktes wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Über die aber bereits seit Jahren in Deutschland diskutiert wird, seit mit dem Börsengang der Telekom die reine auf Gewinnmaximierung ausgerichtete „Share-holder-Value-Denke“ vielfach die langfristige Unternehmensstrategie typisch deutscher Prägung abgelöst hat.

Auf die vielen Abstimmungskanäle, die gerade in Großunternehmen die spontanen Ideen immer wieder blockieren, verweist der geschäftsführende Gesellschafter des Kölner Filialisten Butlers, Wilhelm Josten. Gute Facheinzelhändler, die sich im Qualitätssektor positioniert haben, seien schneller in ihren Entscheidungen, weiß Daniel Terberger, Sprecher des Vorstands der Bielefelder Katag AG, die für mittelständische Textileinzelhändler und Kaufhäuser als Marketing-, Service- und Einkaufskooperation fungiert. Diese Unternehmertypen könnten die Herausforderungen der Krise als Chance definieren. „Mittelfristig werden die gewinnen“, ist sich Terberger sicher.

Im deutschen Bekleidungseinzelhandel, in dem die Lage auch ohne weltweite Krise schon schlimm genug war – Insolvenzfälle wie Sinn-Leffers, Wehmeyer und Hertie belegen das – werden aus Sicht des Katag-Chefs die finanziell schlecht gepolsterten Unternehmen große Schwierigkeiten bekommen. Die internationalen Filialisten, die immer weiter auf den deutschen Markt drängen, erzeugen einen Verdrängungswettbewerb, dem so manches Unternehmen zum Opfer fallen dürfte.

Doch trotz des erwarteten Abschwungs sehen die Familienunternehmen des deutschen Mittelstands durchaus auch positive Anzeichen für ihre Branche. Die gefallenen Benzinpreise, so rechnet Görtz vor, würden dem Einzelhandel im Grunde ein Konjunkturprogramm von 25 Mrd. Euro bescheren. Und auch die Tatsache, dass sich die Deutschen beim Autokauf zurückhalten, setzt Mittel für Ausgaben im klassischen Einzelhandel frei.

„Für die schönen Dinge des Lebens“,

so Görtz.

Katag-Chef Terberger, macht seine eigene Rechnung auf. Da der Einzelhandel nicht vom Hype profitiert habe, es also auch keine Übertreibungen gegeben habe, sei es durchaus möglich, dass der Handel nicht so stark am Abschwung beteiligt sein werde. Oder anders formuliert: Die Bundesbürger haben mit Blick auf die Preissteigerungen und den Kaufkraftverlust so knapp gewirtschaftet, dass sie das gegenwärtige Konsumniveau nicht unbedingt unterschreiten werden. Somit hätte der Einzelhandel durchaus die Chance, ordentlich durchs nächste Jahr zu kommen.

Das ganze Ausmaß, mit dem sich die Krise auf den deutschen Einzelhandel niederschlägt, wird nach Einschätzung von Konjunkturexperten wahrscheinlich erst im 3. Quartal 2009 sichtbar werden. Zu Recht verweist HDE-Präsident Sanktjohanser darauf, wie wichtig es jetzt wäre, durch Reformen – etwa die Abschaffung der kalten Progression bei der Einkommensteuer oder die Senkung der Sozialabgaben – die Kaufkraft der Verbraucher zu stärken, damit vom Bruttogehalt der Bundesbürger auch netto mehr für den Konsum übrig bleibt. Da der private Verbrauch fast 60% des BIP ausmacht, wäre das ein sinnvolles Konjunkturprogramm.

Quelle: HIR, Nr. 35

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