Retail-Kongress: Wer im Handel kein Profil hat, der verliert

Von Ruth Vierbuchen, Chefredakteurin „Handelsimmobilien Report“

Der Einzelhandelsumsatz schwingt seit Jahren mehr oder weniger um die Null-Linie, der reale Netto-Verdienst der Bundesbürger lag 2007 deutlich unter dem Niveau von 1991 und der Anteil des Einzelhandels am privaten Verbrauch, der 1960 noch bei 50% lag, ist inzwischen auf 28% gesunken. Dass bei stetiger Flächenexpansion die Flächenrentabilität sinkt, ist demnach unausweichlich. Und trotzdem herrscht große Dynamik im Einzelhandel und auf dem Markt für Handelsimmobilien. Was ist das Mysterium dieser paradoxen Entwicklung?

„Wenn es im Handel nicht läuft, was tut er dann? Er investiert und baut“, beantwortet Unternehmensberater Ulrich Eggert, früher Geschäftsführer der BBE Köln, den ersten Teil der Frage. Und Joachim Stumpf, Geschäftsführer BBE München und der IPH Handelsimmobilien GmbH gleichfalls in München, ergänzt: „Solange jemand glaubt, sein Standort und sein Konzept seien besser als das der Wettbewerber nebenan, solange gibt es Dynamik in diesem Markt.“ Und welches die besseren Konzepte und die Standorte mit Perspektive sind, damit beschäftigte sich die Konferenz „Retailmarkt Deutschland“ der IIR Deutschland GmbH in Köln.

Dass Deutschlands Einzelhändler einen harten Wettbewerb gewöhnt sind, lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass die Bundesrepublik in Westeuropa laut AC Nielsen Handels-Info die niedrigsten Preise hat. Sie liegen mit einem Indexwert von 84 um 16 Punkte unter dem europäischen Durchschnitt (= 100). Gewinner auf diesem hart umkämpften Markt werden laut Eggert alle Aggressiven sein, das heißt jedoch nicht allein die Preisaggressiven, sondern diejenigen, die sich mit einem klaren Konzept als Marke mit Mehrwert, Emotionen und Ambiente im Bewusstsein der Konsumenten verankern.

So setzt etwa auch die Kölner Rewe Group seit Ende 2006 auf eine gezielte Markenstrategie, indem sie alle früheren Vertriebstypen wie Minimal, Stüssgen oder Otto Mess sowie die Eigenmarken Salto und Erlenhof einheitlich auf Rewe umgestellt hat. Außerdem investiert Deutschlands zweitgrößter Lebensmitteleinzelhändler massiv in ansprechende Ladengestaltung, Warenpräsentation und – mit Blick auf den höheren Anteil älterer Konsumenten – das neue Nahversorger-Konzept „City-Markt“. Laut Stephan Koof, Rewe-Bereichsleiter nationale Expansion, geben die Wachstumsraten von jährlich 6% in den umgestellten Märkten dem Strategiewechsel recht. Auch Metro konzentriert sich bei der SB-Warenhaus-Tochter Real auf Verbesserungen am Point of Sale und eine ausgefeilte Markenstrategie. Im Zuge ihrer Expansionspolitik haben Deutschlands Lebensmitteleinzelhändler hier in den vergangenen Jahren offenbar einiges vernachlässigt und zu wenig Profil gezeigt. Die Hamburger Edeka setzt schon seit langem auf gehobene Einkaufs-Atmosphäre.

Ausländer, die auf diesem Markt mit dem „extremsten Wettbewerb der Welt“ (Eggert) eine realistische Chance haben wollen, müssen aus Sicht des Unternehmensberaters viel Geld mitbringen und einen langen Atem haben. So habe der schwedische Möbelhändler Ikea, der in Deutschland heute sein dichtestes Filialnetz hat, zunächst viel Geduld aufbringen müssen, bevor er Geld verdiente. Die Freude an der Flächenexpansion hat laut Eggert hierzulande dazu geführt, dass „wir 30% heiße Luft im Einzelhandel haben – und die wird auch noch rausgehen“. Insofern wird dieser „absolute Verdrängungswille“ im Einzelhandel zu Lasten von Formaten gehen wie Warenhäuser in Mittelstädten ohne zielgruppenorientiertes Konzept, inhabergeführte Fachgeschäfte aber auch Fachmärkte/SB-Warenhäuser in einer Stand-alone-Lösung, d. h. ohne Drittverwertungspotenzial. Andererseits konzediert Ralf-Peter Koschny, Vorstand der Bulwien Gesa AG in Hamburg, den Fachmarktagglomerationen und den Fachmarkt-Zentren – insbesondere Bestandsobjekten – gute Wachstumsperspektiven. Die restriktive Genehmigungspraxis hierzulande hat bei Fachmärkten über die Jahre zu einem Bestandsschutz geführt. Laut BBEGeschäftsführer Stumpf stehen SB-Warenhäuser besonders in Mittelstädten mit 30.000 bis 100.000 Einwohnern hoch im Kurs.

Auf dem Investmentmarkt sind laut Koschny die Portfolien, die die ersten Investoren 2005 in Erwartung eines nachhaltigen Konjunkturaufschwungs in Deutschland noch relativ günstig gekauft haben, bereits wieder auf dem Markt. In der heißen Immobilien-Phase seien die letzten Deals sehr teuer – zum 15-bis 16-fachen der Jahresmiete für Fachmarktzentren – verkauft worden, so Koschny, bei solchen Objekten sei nicht mehr erkennbar gewesen, wo das Wertsteigerungspotenzial noch herkommen solle. Inzwischen hat sich die Lage wieder normalisiert und für Fachmarktzentren werden Preise zum 12- bis 13-fachen der Jahresmiete verlangt. Vor allem Fachmarktzentren mit Wertsteigerungspotenzial sind aus Sicht des Experten gefragt. Nach dem starken Verfall der Renditen in den Top-Lagen der Metropolen richtet sich der Fokus der Investoren auch auf die Mittel- und Kleinstädte, hat der Bulwien-Gesa-Chef beobachtet: „Die Projektentwickler haben das schon längst erkannt und investiert.“

Welches Potenzial kann dieser enge Markt dem Investor darüber hinaus noch bieten, denn Geld ist genug vorhanden? Das Thema Dienstleistung – beispielsweise Health Center für Senioren – wird mit Blick auf den demografischen Wandel eine größere Rolle spielen und auch die Nahversorgung in Wohngebieten und Stadtteilzentren. Zu den Gewinner-Standorten zählt Eggert auch Bahnhöfe und Flughäfen. Und bei den Handels-Konzepten werden Themen wie Vertikalisierung (von der Produktion bis zum Verkauf alles aus einer Hand) und Mono-Label-Stores eine Rolle spielen, denn hier hat Deutschland aus Sicht des Handelsexperten noch Nachholbedarf. Andreas Peppel, Abteilungsdirektor der IKB sieht auch für Warenhäuser durchaus noch Potenzial, wenn sie das richtige Konzept haben.

Quelle: Der Handelsimmobilien-Report, Nr. 21, 09.05.2008