Im Schatten von Düsseldorf: Neuss setzt sich ehrgeizige Ziele

Von Ruth Vierbuchen. Die Stadt Neuss hat ihre Zielmarke hoch gesteckt. Sie will ein Stück Kommunal- Geschichte schreiben und die erste „Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) in Nordrhein-Westfalen“ auf gesetzlicher Grundlage gründen.

Freiwillige ISGs als Partnerschaft lokaler Geschäftsleute, Immobilieneigentümer und der Kommune, die in einem klar definierten – meist innerstädtischem – Bereich darauf abzielt, die Standorte aufzuwerten, gibt es in NRW schon einige. Doch seit das ISG-Gesetz am 4. Juni 2008 in Kraft ist, gibt es auch in Deutschlands größtem Bundesland einen verbindlichen Rechtsrahmen, der alle in die Verantwortung einbindet, deren „Standort von der ISG profitiert,“ wie Bauminister Oliver Wittke das Ziel formuliert. Damit können alle Eigentümer verpflichtet werden, ihren anteiligen finanziellen Beitrag für die beschlossenen Maßnahmen zu leisten. So kann das Problem der Trittbrettfahrer, die nicht zahlen, von den Verschönerungen aber profitieren, gelöst werden. Voraussetzung ist, dass nicht mehr als 25% der betroffenen Eigentümer gegen die Gründung der ISG votieren.

Dabei gilt Schweigen als Zustimmung. Unter dem verbreiteten angelsächsischen Begriff „Business Improvement District“ (BID) hat Hamburg im Stadtteil „Bergedorf“ und am „Neuen Wall“ schon vor Jahren in punkto gesetzliche Regelungen die Vorreiterrolle übernommen, gefolgt von Gießen in Hessen. Die Stadtväter von Neuss versuchen schon seit Jahren, ihre Innenstadt aufzuwerten. So planten sie mit der Essener mfi AG ein innerstädtisches Shopping-Center in der Top-Lage Niederstraße, direkt neben dem Kaufhof, u.a. um Raum für den fehlenden Elektro-Fachmarkt in der Innenstadt zu schaffen. Der größte Teil der Fläche sollte durch die Einbeziehung von Bestandsimmobilien entstehen.

Doch das Vorhaben, die zahlreichen Eigentümer unter einen Hut zu bringen, wurde wieder aufgegeben. Aber der Druck auf die 150 000-Einwohnerstadt am Rhein mit einer überdurchschnittlichen Kaufkraftkennziffer von etwa 107, die im Schatten der Shopping-Metropole Düsseldorf einen schweren Stand hat, wie Christine Hapig-Tschentscher, Projektmitarbeiterin von Heinze & Partner in Dortmund, zugibt, ist groß. Gegen eine Stadt wie Düsseldorf müsse Neuss die Abgrenzung in der Nische suchen, gibt sie zu bedenken.

Die Stadt könne der Shopping-Metropole mit ihrem vielfältigen und gehobenen Angebot nicht den Rang ablaufen. Nachdem auch noch das ehemalige Huma-Fachmarkt-Center vor den Toren der Stadt, das mit seiner Sogwirkung sicher dazu beigetragen hat, dass Neuss eine stattliche Zentralitätskennziffer von 112,5 nach GfK-Geomarketing aufweist, von der Hamburger ECE zum Huma-Einkaufspark mit attraktivem Branchenmix auf knapp 40 000 qm ausgebaut wird, fühlte sich Neuss verpflichtet, die Position der Innenstadt zu stärken: Sie setzte mit Thomas Werz einen hauptamtlichen Citymanager ein.

Um das hehre Ziel, die erste gesetzliche ISG einzurichten, auch tatsächlich erreichen zu können hängt Werz die Messlatte erst einmal etwas tiefer: Viele kleine Schritte und Detailarbeit, so sein Credo, seien notwendig, um die Immobilieneigentümer im betroffenen 1,8 km langen Kernbereich der Innenstadt an Oberstraße, Büschel, Niederstraße, Krefelder Straße und den angrenzenden Stichstraßen Glockhauser Straße, Sebastiansstraße, Neustraße, Klarissenstraße und Markt für die Verschönerung der Innenstadt zu gewinnen. Insgesamt soll die City in drei Quartiere mit unterschiedlichem Profil eingeteilt werden.

Zur Unterstützung holten sich die Neusser Marketing GmbH & Co KG die Dortmunder Beratungsfirma Heinze & Partner, die u.a. auch an der Entwicklung der BIDs in Gießen mitgewirkt hatte. Längerfristiges Ziel ist es, den Branchenmix zu verbessern, indem hochwertigere Textilfilialisten oder inhabergeführte Modegeschäfte gewonnen werden und auch eine Lösung für die Ansiedlung des Elektrofachmarkts zu finden, wie Peter Rebig, Geschäftsführer der Neusser Marketing erläutert. Denn die Fläche wäre vorhanden, nur mit der Anlieferung gibt es Probleme. Das Warenangebot der Innenstadt finden nach einer Befragung von Heinze & Partner sowohl die Eigentümer als auch die Mieter nur „knapp ausreichend“.

Die Situation der Innenstadt wird mit der Note 4,2 bewertet. Auch Straßengestaltung und Atmosphäre werden von den Eigentümern mit 3,8 und von den Mietern mit 4,1 benotet. Konsequenz der schwachen Perfomance war, dass die Mieten, die 1996 in der Spitze bei über 75 Euro je qm lagen, im Laufe der Jahre nachgegeben haben.

Und um solche Probleme lösen zu können, ist es laut Hapig-Tschentscher wichtig, dass sich die Eigentümer kennen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen. So schrieb Werz denn zunächst einmal die betroffenen 400 Eigentümer sowie Einzelhändler und Freiberufler an. Mitte Februar kamen 120 Hauseigentümer, Händler, Dienstleister, Ärzte und Anwälte zur Gründung der Zukunftsinitiative Innenstadt Neuss – kurz ZIN genannt. Vorteil für die Stadt: Über 90% der Eigentümer kommen aus Neuss und Umgebung. Was die Stadt am Rhein als Pluspunkte in die Waagschale werfen kann sind aus Sicht von Werz und Rebig die gewachsene historische Innenstadt mit viel Parkraum, die kurzen Entfernungen und die attraktiv gestaltete Gastronomie-Szene am Markt mit ihrer hohen Verweilqualität. „Man hat alles, aber in menschlichen Ausmaßen“, so Hapig-Tschentscher.

Das große Engagement, das die Neusser bisher aufbringen, sieht sie als wichtige Voraussetzung für das Gelingen. der Initiative. Im März werden sich einzelne Workshops mit gemeinsamen Werbe-Richtlinien und der Frage befassen, welche Organisationsform ZIN erhalten soll. Laut Werz müssen auch anerkannte Persönlichkeiten gefunden werden, die in den jeweiligen Quartieren die Führung übernehmen. In Stufe 1 des Fahrplans soll bis Sommer 2009 die City-Management-Vereinigung als Dachverein für Eigentümer und Gewerbetreibende gebildet werden.

Bis spätestens Jahresende sollen in Stufe 2, da wo Interesse besteht, die Straßen- und Quartiersgemeinschaften gebildet bzw. weiter entwickelt werden. Stufe 3 sieht bis Sommer 2010 vor, dass ISGs auf gesetzlicher Basis gegründet werden, wenn sich die Mehrheiten dafür finden. Davon wird abhängen, ob Neuss tatsächlich das erste gesetzliche ISG in NRW gründen kann. Laut Hapig-Tschentscher gibt es andere Städte in NRW, die an ISGs arbeiten. Für Werz ist aber – jenseits dieses ehrgeizigen Zieles – zunächst einmal wichtig, dass sich so viele Neusser mit Engagement für ihre Stadt einsetzen.

HIR, Nr. 42

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