Einkaufen in Köln: Hatz statt Martyrium

Von Dr. Karina Junghanns. Obgleich Kaiser Nero 54 n. Chr. seine Mutter, die Kaiserin Agrippina vergiftet hatte, war der Aufschwung ihrer römischen Kolonie Colonia Claudia Ara Agrippinensium nicht mehr aufzuhalten.

Hinter der acht Meter hohen Stadtmauer blühte entlang der Heeresstraße „cardo maximus“ in Nord-Süd-Richtung und die „decumanus maximus“ – die Ost-West- Achse – bereits ein reger Handel. Die cardo maximus heißt heute „Hohe Straße“, die decumanus maximus „Schildergasse“. Der rege Güteraustausch bis ins Mittelalter mag 1350 den Bettelorden der Antoniter bewogen haben, an der Schildergasse ein Kloster zu errichten. In der ehemaligen Klosterkirche, die AntoniterCityKirche“, die nach dem Dom heute die meistbesuchte Kirche Kölns ist, wurden 1956 drei Glocken der Glockengießerei Rincker aus Sinn aufgehängt.

Diese schauen bis heute auf die etwa 12 000 Menschen herunter, die sich tagein tagaus pro Stunde durch die Hochfrequenzmeile Schildergasse zwischen den zahllosen Filialisten, Flagship Stores, Lifestyle-Anbietern, Fast-Food-Ketten hinter schmucklosen Nachkriegsfassaden quetschen und schieben. Um derartige „zentrale Versorgungskerne“ zu schützen und so der „Verödung der Innenstadt“ entgegenzuwirken, will die Stadt Köln jetzt handeln. Gemäß des novellierten CentrO-Urteils, das die Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels auf der “grünen Wiese” erschweren soll, hat sie jetzt eine Studie in Auftrag gegeben, um auch vor den Toren Kölns einen möglichen Wildwuchs zu verhindern. Damit dürfte der innerstädtische Erlebniseinkauf zwischen den immer gleichen Young Fashion-Labels auf Jahre gesichert sein – auch wenn das alltägliche Gedränge eher einem Märtyrium gleicht.

Doch während Märtyrer in früheren Zeiten verehrt wurden und deren Reliquien in wertvollen Schreinen gesammelt wurden, tröstet diejenigen, die wegen ihres Glauben an Schnäppchen und Treuepunkte Ungemach erdulden, lediglich das Geläut der Antoniterkirche: Immer freitags, kurz vor Feierabend, ertönt im Gebälk des Dachreiters die Matthäus-Kantate: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken“.

Kölner Einzelhandel: Quantitativer Bedarf gedeckt

Die Einkommen stagnieren, die Kaufkraft schwindet und die Umsätze sinken: Das sind die Rahmenbedingungen des Kölner Einzelhandels. Rückläufige Konsumausgaben bedeuten für Immobilienbesitzer sinkende Mieten, da ein Teil der Miete umsatzabhängig ist. Zudem drohen Mietausfälle durch Insolvenzen. Vor allem höhere Steuern und Abgaben für die Sozialkassen, aber auch eine steigende Arbeitslosenzahl könnten die Konsumfreude nachhaltig trüben. Kurz: Der Markt für Einzelhandelsimmobilien ist gesättigt, der quantitative „Bedarf“ längst gedeckt. Obgleich dies bereits seit mehr als einem Jahrzehnt gilt, wurde in erheblichem Umfang neu gebaut. Dabei gilt: Jede Flächenexpansion führt zwangsläufig an anderer Stelle zu Leerstand, so das Fazit der jüngsten Einzelhandelsstudie der Bayerischen Landesbank.

Weiteres Kennzeichen des Einzelhandels: Die Bevölkerung wird mobiler, die Alters- und Einkommenspyramide verschiebt sich und der blühende Online-Handel hat neue Unternehmenskonzepte hervorgebracht. Auch die Konsumgewohnheiten haben sich verändert, schreibt die Deutsche Hypo in ihrer aktuellen Studie. Der Kunde deckt seinen Grundbedarf beim Discounter, um seinen Wunsch nach Luxus befriedigen zu können. Folge: Der Marktanteil der „Billig-Anbieter“ steigt, aber auch das Hochpreissegment boomt. Veränderte der Konsumgewohnheiten, zunehmende Mobilität, Verschiebungen der Alters- und Einkommenspyramiden, Internethandel und neue Unternehmensund Einzelhandelskonzepte dynamisieren den Einzelhandel. Dabei zieht es Filialisten wie Deichmann oder Ernstings lange nicht mehr nur in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren, sondern zunehmend auch in die Fachmarktzentren der Kölner Vororte und Ausfallstraßen.

Dafür spricht neben der guten Erreichbarkeit, die Vielzahl von Parkplätzen, geringe Mieten sowie ein interessanter Mietermix. Aus Sicht der Eigentümer anderer Einzelhandelsimmobilien ist das Wachstum der Fachmarktzentren und Shopping- Center auf der grünen Wiese grundsätzlich eine negative Entwicklung. Entstehen diese in 1A-Lagen, leiden die 1B-Lagen, und umgekehrt. Auch die Kölner Stadtväter sind skeptisch und befürchten eine Belastung für die Kaufkraft der Innenstadt und ein Problem für die Stadtentwicklung. „Die Innenstädte stehen unter Druck. Nicht nur die zunehmende Zahl von Einkaufszentren bedroht ihre dominierende Stellung – auch der Erfolg von Fachmarktzentren“, so die Meinung des Essener Immobilienspezialisten Brockhoff & Partner. Gelegen kam der Stadt Köln das im Juni 2007 novellierte Landesentwicklungsprogramm (LEPro), das in Nordrhein-Westfalen die Landesplanung durch Einfügung des § 24a neu geregelt hat. Ziel der Neuregelung ist die Steuerung des großflächigen Einzelhandels: Innerstädtische Zentren sollen gestärkt; Ansiedlungen auf der “grünen Wiese” vermieden werden.

Eine Bestandsaufnahme und entsprechende Analyse des Einzelhandels in und um Köln hat die Stadt Köln bereits bei zwei verschiedenen Gesellschaften für Markt- und Absatzforschung in Auftrag gegeben. Wie aus dem Umfeld des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik zu hören war, wird das Ergebnis der Stadt frühestens im Dezember vorgestellt. Grundsätzlich müssen Shopping- Center indes keine schlechte Entwicklung für die „Bewahrung der europäischen Stadt“ sein, heißt es in der Studie der Bayerischen Landesbank. Zumindest falls es gelingt, genügend Flächen in entsprechenden 1A-Lagen zur Verfügung zu stellen. Mit dem Niedergang der klassischen Warenhäuser entstehe die Chance, diese durch Shopping-Center zu ersetzen. Köln liegt mit knapp 170 000 qm Centerfläche und 170 qm je 1 000 Einwohner nur leicht über dem bundesweiten Mittelwert.

Die innerstädtischen Objekte sind sehr gut in die 1a-Lagen integriert. Unabhängig von der Innenstadt haben sich zudem in den Stadtteilen gut funktionierende Center etabliert. In der Domstadt sind bis 2011 keine Neubauprojekte geplant. (gi24/DIB "Köln", Nr. 3)

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