Investmentmarkt Russland – Zwischen hoher Wachstumsdynamik und Credit Crunch

Von Ruth Vierbuchen

Russland lebt derzeit von Superlativen. Im bevölkerungsreichen Westteil des Landes leben 114 Mio. Menschen. Mit einer jährlichen Wachstumsrate von durchschnittlich fast 7% beim BIP von 2000 bis 2007 führt Russland die Rangliste der europäischen Länder an, vor Irland, der Tschechischen Republik, Polen und Ungarn. Deutschland folgt erst auf Rang 12 hinter Frankreich und vor Italien. Die Gehälter sind in den vergangenen acht Jahren um jährlich 20% gewachsen – auch wenn die Basis insgesamt niedrig ist, so signalisieren diese Raten doch die Dynamik des russischen Marktes und den großen Nachholbedarf.

Daraus resultierte nach Feststellung von Jones Lang LaSalle (JLL) in den letzten Jahren ein exorbitantes Umsatzwachstum im Einzelhandel. So stiegen die Erlöse von etwas über 100 Mrd. $ (2002) auf gut 400 Mrd. $ (2007). Für 2008 wird der Einzelhandelsumsatz nach JLL-Schätzung auf über 500 Mrd. $ steigen.

Zwar könnte die weltweite Krise auch in Russland Bremsspuren hinterlassen, doch dürften nach Einschätzung deutscher Einzelhändler mit Russlanderfahrung die Zuwachsraten immer noch im zweistelligen Bereich liegen. Mit Blick auf den „Credit Crunch“ ist Jones Lang LaSalle deshalb der Frage nachgegangen, ob die Krise eher Risiken oder Chancen bedeuten. Da Russland globaler geworden ist, so die Forscher, ist auch die Sensibilität für globale Risiken gewachsen. Die Liquiditätskrise werde zweifellos dazu führen, dass mehr Projekte aufgeschoben würden. So will sich z.B. auch der unter Druck geratene ECE-Joint-Venture-Partner Developers Diversified Reality Corp. (DDR) aus den Projekten in Togliatti und Yaroslawl zurückziehen. Dennoch hat Jones Lang LaSalle festgestellt, dass mehr Investoren auf der Suche nach attraktiven Kaufgelegenheiten sind und das Interesse am russischen Immobilienmarkt gestiegen ist. Auch die ECE ist zuversichtlich, dass sie auf Grund ihrer soliden Aufstellung als Unternehmen, die angebotene Nachhaltigkeit und die Qualität ihrer Center als bevorzugter Partner gesehen wird. Im Moment führt sie sowohl mit der DDR als auch mit anderen Partnern Gespräche.

Grundsätzlich unterscheidet sich der russische Markt in wesentlichen Punkten von den Ländern Westeuropas: So sind die Zinsen in den Ländern des Westens fest, in Russland schwanken sie. Die Hypothekenschulden erfordern in Russland frühe Vorauszahlungen, im Westen keine. Und vor allem: Die persönliche Steuerbelastung liegt in den Ländern Westeuropas bei über 30%, in Russland bei 13%. Auch die Bereitschaft, sich zu verschulden, ist in Russland sehr niedrig. Und während der Anteil des verfügbaren Einkommens, das im Einzelhandel ausgegeben wird, im Westen bei unter 50% des Einkommens liegt, beträgt er in Russland noch über 70%.

Dabei gibt der durchschnittliche Russe laut JLL etwa 36% des verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel aus, 33% für Nonfood-Artikel, 5% für Freizeit und 18% für Sonstige Dienstleistungen. 8% legen die russischen Haushalte aufs Sparkonto. Vor dem Hintergrund solcher Daten steht Russland auf der Expansionsliste der internationalen Einzelhändler ganz weit oben. Bereits 600 internationale Marken, darunter Peek & Cloppenburg, H & M, Camper, Gap, Banana Republic, Metro, Carrefour, Cortefiel und River Island sind hier vertreten – und 90% der Franchise-Systeme.

Dass auch der russische Handelsimmobilienmarkt maßgeblich von Shopping-Centern geprägt wird, liegt in der Natur der ehemaligen Zentralplanwirtschaft, in der sich kein individueller Einzelhandel und kaum innerstädtische Handelsstrukturen entwickeln konnten. Doch der russische Einzelhandelsmarkt zeigt laut Jones Lang LaSalle ein sehr zwiespältiges Bild, das jeden Investor veranlassen sollte, neue Projekte genau durchzukalkulieren: Aktuell ist die durchschnittliche Ausstattung mit Shopping-Center-Fläche in Russland noch niedriger als in Polen, während die Bevölkerung dreimal so groß ist. Andererseits war die Zahl der Projekte, die allein 2007 auf den russischen Markt gekommen ist, genauso groß wie die gesamte Shopping-Center-Ausstattung in Irland und sie umfasst die Größenordnung, die Schweden im Jahr 2010 erreichen wird. Zudem kamen 100 neue Einzelhändler auf den Markt. Allerdings bleibt die Ausstattung beispielsweise in Moskau trotz der Expansion mit 177 qm je 1 000 Einwohner noch deutlich unter vergleichbaren Städten wie Warschau, Prag, Frankfurt, Madrid, Paris oder Hamburg. St. Petersburg bringt es inzwischen zwar auf rd. 253 qm pro 1 000 Einwohner, doch hat auch diese Metropole – gemessen an Großstädten West- und Mittel-Osteuropas – laut JLL noch Nachholbedarf.

In den vergangenen Jahren hat sich das Interesse der Investoren auch verstärkt auf die kleineren Städte im Osten des Landes konzentriert. Nach Moskau mit 10,4 Mio. und St. Petersburg mit 4,6 Mio. Einwohnern gibt es noch 11 Städte mit 1 Mio. Einwohner und mehr. Ein Fakt, der auch aus Sicht von Alexander Otto, Leiter der ECE-Geschäftsführung, mittel- bis langfristig das große Potenzial des weiten russischen Marktes dokumentiert. Zu diesen Städten gehören Novosibirsk, Ninzhny Novgorod, Yekaterinburg, Omsk, Samara, Kazan, Chelyabinsk, Rostov-on-Don, Ufa, Volgograd und Perm. Zudem gibt es laut Michael Rogozhin, Associate Director Retail Department Jones Lang LaSalle, Russia & CIS, in Russland 40 Städte mit mehr als 250 000 Einwohner, also von der Größe Manchesters.

Dass der Schritt auf die regionalen Märkte in Russland Chancen und Risiken gleichermaßen bietet, liegt auf der Hand. So steht der Tatsache, dass geeignete Grundstücke für neue Projekte leicht verfügbar sind, das Risiko gegenüber, dass die Preise sehr schnell in die Höhe schießen. Zudem gilt es aus westlicher Sicht zu bedenken, dass sich durch stetige Einkommens- und Kaufkraftsteigerung zwar auch die Kaufmuster ändern, doch gibt es insgesamt nur wenige Verbraucher, die bereits ein mit westlichen Konsumenten vergleichbares Konsummuster aufweisen. Auch von der Tatsache, dass der Konkurrenzdruck in kleineren Städten zunächst geringer ist, sollten sich Investoren nicht darüber hinweg täuschen lassen, dass die Gefahr der Übersättigung schnell gegeben ist, wenn mehrere Entwickler denselben Markt besetzen. Und schließlich lassen das Profil der Ankermieter und die Infrastruktur der Logistik laut Jones Lang LaSalle noch zu wünschen übrig. Zwar sind die Renditen in Russland hoch und die Objekte verzeichnen starke Wertsteigerungen, doch wird die Finanzierung der Projekte laut JLL-Manager Roghozin immer schwieriger. Die Goldgräberzeiten sind auch hier endgültig vorbei.

Quelle: HIR, Nr. 36

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