Mediaspree versenken! – Ein Bürgerentscheid stemmt sich erfolgreich gegen Millionenschwere Investorenpläne an den Spreeufern von Friedrichshain-Kreuzberg

Von Karin Krentz

Spreeufer für alle!“ und „Mediaspree versenken!“ – Das waren die Losungen, mit denen die Gegner des Großprojektes „Mediaspree“ einen Bürgerentscheid gefordert hatten, den sie dann auch gewannen. 180.000 Wahlberechtigte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg waren aufgefordert worden, am 13. Juli 2008 sich für oder gegen das Mammutprojekt mit einem Bauvolumen von bisher 165 Millionen Euro an beiden Ufern der Spree zu entscheiden. 86,8 Prozent und damit knapp 30.000 Bürger stimmten für den Antrag der Initiative „Mediaspree versenken“. Der konkurrierende Antrag der Bezirksversammlung unter dem grünen Bürgermeister Franz Schulz wurde mit 55,5 Prozent glattweg abgelehnt.

Im Vorfeld des Bürgerbegehrens war es besonders in Friedrichshain-Kreuzberg seit der „Walpurgisnacht“ am 30. April und seit dem 1. Mai hoch her gegangen. Zwar erreichten die sonst üblichen Krawalle, Tumulte, Barrikaden, Brände sowie Kämpfe mit der Polizei schon das dritte Jahr nicht mehr die vormaligen Ausmaße, doch friedlich war es beileibe nicht. Bis zum Bürgerbegehren gingen reihenweise Autos der gehobenen Klassen jede Nacht in Flammen auf, der Höhepunkt war mit dem Brandanschlag auf die Niederlassung der Autovermietung „Robben & Wientjes“ erreicht. Unbekannte hatten 13 Fahrzeuge in Brand gesteckt, die Flammen beschädigten weitere 30 Autos. Bei den Hörfunkmedien ging ein Bekennerschreiben einer „Autonomen Gruppe Umzugsstopp“ ein. Diese habe mit der Aktion dem

„Unmut über Räumungen und Zwangsumzüge (in Friedrichshain und Kreuzberg) als Teil der Verdrängung alternativer Lebensformen durch die Stadtteilveredelung“ Ausdruck verleihen wollen. Robben & Wientjes sei „Teil dieses Verdrängungsprozesses“.

Dabei verkannten die zündelnden neuen Revoluzzer, dass die beiden Unternehmer selbst aus der Hausbesetzerszene der 90er Jahre kamen. Damals war Berlin ein Dorado für diese „alternativen“ Gruppen vor allem aus den alten Bundesländern.

Befürchtung der Verdrängung alternativer Lebensformen – besser kann man den Inhalt der Initiative „Mediaspree versenken“ nicht erklären. Die Verfechter argwöhnen, dass, wie bereits an der O2-Arena geschehen, die Stadt Projekten der Großinvestoren geopfert wird, Alteingesessene durch zügellose Mietpreissteigerungen sowie Hausbesetzer vertrieben und die Ufer der Spree auf beiden Seiten von Friedrichshain und Kreuzberg nur für private Nutzer mit viel Geld zur Verfügung stehen. Sie wollen einen 50 Meter breiten unbebauten Uferstreifen, eine Maximalhöhe für Neubauten von 22 Metern und lehnen eine zusätzliche Autobrücke über die Spree ab. Zwar haben die Initiatoren sich zurzeit für eine „Sommerpause statt Sommertheater“ entschieden, doch schon ist es zu Protesten gegen den bereits begonnenen NH-Hotelneubau an der Stralauer Alle gekommen.

Denn das wollen die Anhänger, die Zwischennutzer privaten oder öffentlichen Eigentums, auf alle Fälle erhalten: Ihre Party-Szene in den schicken weißen Strandzelten oder -bars mit den Happy-hour-Drinks im Liegestuhl, Füße im weißen Sand, Blick nach Westen in die untergehende Sonne, unweit das Tanzschiff oder das MS Hoppetosse, daneben das Badeschiff vor der Arena (diesmal nicht O2), die zerbröselnde East-Side-Gallery, als nur noch halber Tourismusmagnet einen Steinwurf entfernt – all das soll den Investoren / den rechtmäßigen Eigentümern etwa geopfert werden?

„Wir haben seit März 2008 eine bestandskräftige Baugenehmigung. Wir werden deshalb in drei bis vier Wochen mit dem Bau beginnen“,

sagte Stefan Sihler, Sprecher der flink gegründeten Interessengemeinschaft aus u.a. Anschutz Entertainment Group, Kilian-Gruppe, Stofanel Investement AG und der landeseigenen Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala). Sihler warf den Mediaspree-Gegnern vor, dass der Bürgerentscheid viel zu spät gekommen sei.

"Beim Bürgerentscheid haben nicht einmal 0,9 % der Berliner Bevölkerung gegen ein Projekt gestimmt, das ganz Berlin betrifft. Und jetzt soll der Wille dieser Minderheit einfach so umgesetzt werden? Das macht doch keinen Sinn", so Sihler gegenüber der Tageszeitung "B.Z.".

Sihler ist Geschäftsführer des Projektentwicklers Labels Berlin, der auf einem rd. 5.000 Quadratmeter großen Areal einen fünfgeschossigen Neubau mit 7.000 Quadratmeter Nutzfläche für 12 Modefirmen realisieren will.

Und was macht der Senat? Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer garantiert den Investoren Planungssicherheit und will das Projekt nicht an sich ziehen, doch dafür den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg „sehr genau beobachten, wie er mit den bestehenden Bebauungsplänen und den rechtsgültigen städtebaulichen Verträgen umgeht“ und Finanzsenator Thilo Sarrazin sagt, es werde gebaut wie geplant. Und was macht der Regierende Bürgermeister? Er hält sich aus allem heraus.

Doch die Investoren sagen, die „dicke Rechnung“ komme noch. Sie werden einen viel höheren Schadensersatz von Berlin einfordern als bisher erwartet.

„Die 165 Millionen Euro sind eine eher konservative Rechnung“,

sagt der Sprecher von „Mediaspree“ Christian Meyer. Zwölf Investoren seien direkt betroffen. Andere wollen eine Klage auf Schadensersatz prüfen, sollte es bei den Planungen zu Verzögerungen oder gar zu einer Umkehr kommen.

René Gurka, neuer Geschäftsführer von Berlin Partner, sagt:

„Wir wollen, dass Investoren in Berlin Hochhäuser bauen und Arbeitsplätze schaffen – auch an der Spree. Das Projekt Mediaspree nutzt ganz Berlin und betrifft nicht nur die Interessen von 30.000 Kreuzbergern und Friedrichshainern.“ Der Imageschaden für Berlin ist schon jetzt groß, sagt die Opposition, Tempelhof schließen, Mediaspree versenken – so gehe das nicht, nur weil ein paar „Althyppies“ ihre Egoismen pflegten. Ein Investor bringt es auf den Punkt: „Wir sind doch kein Sozialamt“,

meint er.

Hingegen werden Meinungen laut, das Plebiszit als solches einzuschränken. Zwar sei der Bürgerentscheid mit allen eventuellen Folgen rein verfassungsrechtlich gesehen in Ordnung, meint gegenüber dem „Tagesspiegel“ der Jurist Uwe Wesel, bis zur Emeritierung 2001 Professor für bürgerliches Recht an der Freien Universität Berlin. Doch er halte es für fragwürdig, ob eine derart kleine Zahl von Bürgern im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung (3,4 Millionen) über ein Projekt wie die großflächige Bebauung des Spreeufers entscheiden sollte. Das Abgeordnetenhaus sollte in die entsprechende gesetzliche Regelung eine Klausel einbauen, dass nur über Themen abgestimmt wird, die rein bezirkliche Belange betreffen wie Parkraumbewirtschaftung o.ä..

Quelle: DIB, Nr. 172, 08.08.2008