Studie Shopping-Center 3.0: Kampf gegen die Beliebigkeit

Von Ruth Vierbuchen. Politiker beklagen schon seit langem die Monotonie deutscher Innenstädte, weil in den Top-Einkaufsstraßen immer die gleichen Filialisten zu finden sind. Die Einzelhandelsketten wiederum sind um einen hohen Wiedererkennungswert – also die Ähnlichkeit des Filialauftritts – bemüht, um den Wert ihrer Marke zu steigern. Für Investoren sind zugkräftige Marken im Interesse ihrer Rendite wichtig, denn sie sind bei Konsumenten beliebt und sichern so die Frequenz. Doch während sich Innenstädte noch durch die Vielfalt der Gebäude, der Begrünung sowie der Straßenführungen und Straßengestaltungen bis zu einem gewissen Grad unterscheiden, fällt die Ähnlichkeit des Einzelhandelsangebots in Shopping-Centern noch stärker ins Gewicht. So prangerte denn auch Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee beim „3. Kongress Nationale Stadtentwicklungspolitik“ im Sommer die Uniformität der Malls mit den überwiegend gleichen Filialisten an. Dadurch würden Städte verwechselbar, doch brauche eine Stadt ihre Unverwechselbarkeit, damit sich die Bewohner mit ihr identifizieren könnten.

Für den Bundesbauminister ist deshalb der „Kampf gegen die Beliebigkeit“ von großer Bedeutung. Auch das Gottfried Duttweiler Institut (GDI) kommt in seinen „Thesen zum „Shopping-Center 3.0“ am Ende des 1. Dezeniums des 21. Jahrhunderts zu dem Schluss, dass es mit dieser Gleichförmigkeit in der Handelsimmobilien- Landschaft, die sich vor allem an der sicheren Rendite für die Investoren orientiert, so nicht weitergehen könne. Zumal die Rahmendaten auf dem Markt starken Veränderungen unterliegen: Der stark expandierende Online-Handel, der demographische Wandel mit einem stark wachsenden Anteil älterer Konsumenten, die sich schwer in eine Zielgruppe fassen lassen, und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit, der womöglich mit einem knapperen Budget der Privathaushalte kollidiert, verändern aus Sicht der GDI-Experten die Entscheidungsgrundlage bei Planung und Bau neuer Shopping-Center-Generationen. In einem Artikel für das German Council Magazin stellen die Forscher des Gottfried Duttweiler Instituts denn auch fest: „Mag es früher genügt haben, sich auf dem weiten Feld der Retail-Szene einen Überblick in den allseits genannten wichtigsten Malls und Städten zu verschaffen, so ist das heute nur noch ein Teil der Hausaufgaben.“

Vielmehr gilt es für das nächste Jahrzehnt auch Fragen nachzugehen, wie das eigene Markenversprechen im Internet wahrgenommen werde und welches die wirklich relevanten Entwicklungen seien, um nicht auf schnelllebige Trends herein zu fallen. Für ihre Studie haben die GDIForscher Experten aus Handel, Immobilienbranche, Architekten, Designer und Konsumforscher über ihre Vorstellungen und Visionen befragt und in These 1 festgehalten, dass Handelsimmobilien der Zukunft ohne Alleinstellungsmerkmale Opfer einer gewaltigen „Overstoring-Maschine“ würden. Denn die Top -Lagen deutscher Innenstädte hätten schon heute einen Filialisierungsgrad von 70%, dominiert von den immer gleichen großen Textilhandelsketten: „Damit es nicht zum Platzen einer Shopping-Blase kommt, müssen sich Center, Planer und Einzelhändler um klare Positionierung und das Setzen von Themen kümmern.“ Aber auch die Städte selbst verändern sich, seit der Trend auf die grüne Wiese gebrochen ist und sich Konsumenten, Shopping-Center und auch die Wohnbevölkerung wieder mehr auf die Innenstädte konzentrieren. Hinzu kommt die Erkenntnis einer Cima- Studie, dass für Verbraucher die schnelle Erreichbarkeit eines Supermarktes wichtiger sei als der niedrige Preis.

So spielt die Nahversorgung bei der Ansiedlung von Geschäften wieder eine größere Rolle: „Höhere Energiepreise, der Verbraucherwunsch nach Nähe und einer Community rückt urbane Lagen in den Vordergrund“, stellen die Forscher fest (These 2): „Vom Shop-in-Shop zum Stadt-in-Stadt.“ These 3 setzt sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander, denn Energie sparen wird mit steigenden Energiepreisen immer wichtiger. Das betrifft aber nicht nur die Energieeffizienz der Immobilie, sondern auch die der Geschäftsräume. Und mehr noch: „Eine besondere Herausforderung wird es sein, das Thema Natur in die Stadt hinein zu transportieren“, so das GDI. Diese Themen zu vereinen dürfte die Herausforderung für die Handelsimmobilien der Zukunft sein. These 4 besagt, dass der Wertewandel und der Vertrauensverlust der „Großen“ im Handel Chancen für Individualisten und eine neue Vielfalt bietet: „Anstatt sich dem Diktat und dem Preis-Terror der 1A-Lage zu beugen, kann man bei guter Kenntnis von Nachbarschaft und Frequenz auch neue, eigene Lagen kreieren“, sind die GDI-Forscher überzeugt.

Die Schaffung von Business Improvement Districts basiert im Grunde auf dieser Erkenntnis. Mit mehr Wärme, Gemeinschaft, Emotion, weniger schrillen und schnellen Inszenierungen sollte aus Sicht der Forscher auf die steigende Zahl älterer Konsumenten reagiert werden, wenn man diese Zielgruppe erreichen will. These 5 besagt, dass man den Alten ein zweites Wohnzimmer schenken solle, durch Konsumräume, die zum eigenen Zuhause eine Abwechslung bieten würden. Die vorgeschlagene Abgrenzung als „Ü50 Konsumräume“ scheint aber etwas weit gegriffen zu sein, da sich die Bedürfnisse von 50-, 70- oder 80-Jährigen kaum in einen Topf werfen lassen. Hier ist sicherlich Differenzierung gefordert.

Einzelhandel als Begegnungsstätten der Menschen: Wichtig ist aus Sicht der Forscher schließlich auch die klare Positionierung, da – und das gilt durch die Weltwirtschaftskrise noch mehr – nicht alle Konsumenten die Freiheit haben, den Einkaufsort zu wählen. Der Geldbeutel mag da bisweilen Grenzen setzen. Deshalb seien Multi-Channel-Strategien gefragt und Formate, die genau auf die Zielgruppe zugeschnitten seien, formulieren die GDI-Forscher These 6. Und These 7 über die Zukunft besagt, dass der Einzelhandel – vor dem Hintergrund des Internet-Verkaufs – den Laden nicht mehr (nur) zum Verkauf benötigt, sondern auch andere Funktionen übernehmen kann. Als Experimentierfeld, Begegnungsort, Testlokal in der „tatsächlichen“ Welt. Dass gerade ältere Menschen täglich, und manche auch mehrmals täglich, zum Einkaufen in den Supermarkt gehen, zeigt den sozialen Ansatzpunkt der Begegnungsstätte Einzelhandel. (gi24/HIR, Nr. 54)

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